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Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz: EIN PARADIGMENWECHSEL AUF RECHTLICH DÜNNEM EIS?

UPDATE 22.11.2022 | Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat Ende September den Referentenentwurf für das sogenannte Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz und damit die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgelegt. Der ursprünglich für den 2. November 2022 angekündigte Kabinettsbeschluss der Bundesregierung zur Verabschiedung der Novelle steht allerdings noch aus und wurde erstmal auf den 7. Dezember 2022 verschoben.

Der vorgeschlagene Referentenentwurf, insbesondere die Regelungen zu Abhilfemaßnahmen (§ 32f RefE GWB) stoßen auf erhebliche Kritik der Wirtschaft. Nach der am 4. Oktober 2022 erfolgten Verbandsanhörung im BMWK hat auch en2x eine Stellungnahme eingereicht und sich gegen die geplanten Änderungen ausgesprochen.

Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz widerspricht dem EU-Recht

Der in der Zwischenzeit von en2x beauftragte Prof. Dr. Thomas Ackermann, ein renommierter Fachmann für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, hat in seinem Kurzgutachten die bestehenden Bedenken in Bezug auf die Vereinbarkeit des Referentenentwurfs mit dem Unionsrecht untersucht und kam zum Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung der neuen Regelungen zur Anordnung von Abhilfemaßnahmen (§ 32f RefE GWB) die ausschließliche Kompetenz der EU für die Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln zu verletzen droht.

„Unabhängig von einer Verletzung der ausschließlichen Unionskompetenz durch die geplante Regelung stehen das EU-Kartellrecht, der Digital Markets Act (DMA) und die unionsrechtlichen Vorgaben zur sektorspezifischen Regulierung in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich jedenfalls einer kollidierenden Anordnung von Maßnahmen aufgrund von § 32f Abs. 3, 4 RefE GWB entgegen. Den sich daraus ergebenden Anforderungen trägt der Entwurf unzureichend Rechnung“, führt Ackermann aus.

Der vorgelegte Referentenentwurf setzt sich mit der Kompetenzfrage nicht auseinander. Dabei gingen die Regierungsparteien noch im Koalitionsvertrag (2021) von der Zuständigkeit des europäischen Gesetzgebers aus und wollten sich für eine „missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit“ auf europäischer Ebene einsetzen. Auch noch im Februar 2022 sprach sich das Bundeswirtschaftsministerium in seiner wettbewerbspolitischen Agenda bis 2025 für einen europäischen Ansatz aus. Die nunmehr im Alleingang angestrebten Änderungen dürfte der nationale Gesetzgeber nur einführen, wenn er hierzu vom Unionsgesetzgeber ermächtigt worden ist. Wie Ackermann untersucht und ausführt ist „eine solche Ermächtigung weder der VO Nr. 1/2003 noch der Fusionskontrollverordnung noch dem Digital Markets Act zu entnehmen. Aufgrund der fehlenden Ermächtigung sind die angestrebten Regelungen zu Abhilfemaßnahmen nach § 32f RefE GWB daher dem Einwand der Kompetenzwidrigkeit ausgesetzt.“

Kritische Inhalte des Referentenentwurfs 

Abhilfemaßnahmen
Soll das Bundeskartellamt in einer Sektoruntersuchung eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt oder marktübergreifend feststellen, so kann die Behörde dem/den Unternehmen gegenüber alle zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art anordnen. Der Maßnahmenkatalog kann beispielsweise zum Gegenstand haben:

  • die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen;
  • die Belieferung anderer Unternehmen, einschließlich der Einräumung von Nutzungsrechten an geistigem Eigentum;
  • die Lieferbeziehungen zwischen Unternehmen auf den betroffenen Märkten und auf verschiedenen Marktstufen;
  • die Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung;
  • die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen (Entflechtung als Ultima ratio-Regelung).

Der Vorschlag zur Erweiterung der Befugnisse des BKartA begründet einen Paradigmenwechsel. Das bisher als Kontrollbehörde agierende BKartA bekommt zukünftig Kompetenzen einer Regulierungsbehörde und kann selbst dann eingreifen, wenn Störungen vorliegen, die den Tatbestand eines Kartellrechtsverstoßes nicht erfüllen.

Vorteilabschöpfung
Die Voraussetzungen der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung sollen dahingehend erleichtert werden, dass eine Abschöpfung unabhängig vom Verschulden des betroffenen Unternehmens möglich sein soll, wenn das Unternehmen aus wettbewerbswidrigem Verhalten Vorteile erlangt hat. Der Entwurf definiert eine Vermutungsregelung, dass ein Unternehmen auf der Grundlage eines nachgewiesenen Kartellrechtsverstoßes einen Vorteil in Höhe von mindestens einem Prozent seiner Inlandsumsätze mit dem Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat, das mit dem Kartellrechtsverstoß in Zusammenhang steht. Die Vermutung kann durch das betroffene Unternehmen widerlegt werden.

Verstoß gegen das Verfassungsrecht

Die kritischen Regelungen des Referentenentwurfs, insbesondere die Abhilfemaßnahmen, welche bei einer missbrauchsunabhängigen Störung des Wettbewerbs durch das Bundeskartellamt angeordnet werden dürften, stoßen auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Der seitens en2x angefragte Verfassungsrechtler, Prof. Dr. Bernd Grzeszick aus der Universität Heidelberg führt in seinem Gutachten aus, dass die im Referentenentwurf geplanten Abhilfemaßnahmen, in Eigentumsrechte der Unternehmen eingreifen und diese intensiv belasten. „Sollte der Gesetzgeber sein Vorhaben trotz der bestehenden allgemeinen unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken weiter betreiben wollen, trifft ihn neben der nötigen Auseinandersetzung mit diesen Bedenken zudem die verfassungsrechtliche Pflicht, den in ihrem Eigentum betroffenen Unternehmen volle Entschädigung zu leisten.“ Der Gutachter argumentiert weiter, dass „der Gesetzgeber diese Entschädigungspflicht zumindest in den Grundzügen gesetzlich regeln muss. Eine solche verfassungsrechtlich gebotene Regelung fehlt aber gänzlich, weshalb § 32f RefE GWB verfassungswidrig ist.” Die komplette Argumentation und Bedenken von Prof. Dr. Grzeszick können Sie in dem unten verlinkten Kurzgutachten nachlesen.

Download Kurzgutachten

von Prof. Dr. Bernd Grzeszick zur verfassungsrechtlichen Entschädigungspflicht in Bezug auf das  Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz (11. GWB-Novelle).

Download Kurzgutachten

von Prof. Dr. Thomas Ackermann zur Vereinbarkeit des Referentenentwurfs für ein Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz (11. GWB-Novelle) mit dem Unionsrecht.

Download en2x-Stellungnahme

zum Referentenentwurf vom 15. September 2022 eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen (Wettbewerbs-durchsetzungsgesetz / 11. GWB – Novelle)

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